Teilnehmende der EUSTORY Netzwerktagung 2024

Foto: Ramin Mazur

EUSTORY-Netzwerktreffen 2024 in Chișinău

Vom 6. bis zum 10. März trafen sich die Verantwortlichen der EUSTORY-Wettbewerbe aus mehr als 20 Ländern in Chișinău und online. Lokaler Gastgeber war die National Association of Young Historians of Moldova (ANTIM). Die “Class of the future“ an der Ion Creangă State Pedagogical University fungierte als Ort für einen intensive Austausch.

Das diesjährige Programm unter dem Oberthema „History in a Polarised World“ bot Sessions zu ChatGPT, Propaganda im Geschichtsunterricht und Raum zur Reflektion. Denn bereits im Vorfeld wurde offensichtlich, dass die Wettbewerbe vor großen Herausforderungen stehen: Wie können wir sichergehen, dass die Beiträge wirklich von den Schüler:innen selbst verfasst wurden, und nicht von KI? Wie bleibt das Konzept „Geschichtswettbewerb“ auch unter den neuen Vorzeichen pädagogisch wertvoll, damit es auch weiterhin kritisches Denken bei jungen Menschen fördert?

Eskaliert die Lage in Transnistrien?

Doch bevor die Teilnehmenden nach Moldau aufbrechen konnten, erschütterten Nachrichten aus Transnistrien die Vorbereitung. Gerüchte machten die Runde, dass Transnistrien, die pro-russische, abtrünnige Region im Osten des Landes um die offizielle Annexion durch Russland bitten würde. Seit einem kurzen Krieg 1992 ist russisches Militär in der Region stationiert, die sich als Reaktion auf die moldauische Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 wiederum selbst von Moldau abspalten wollte. Zwar zeigte sich schnell, dass den Gerüchten keine Taten folgen würden, sie sorgten dennoch für Angst und Unsicherheit. Drei moldauische Experten und Expertinnen, die zu Gast auf der Netzwerktagung waren, nahmen sich die Zeit, die aktuellen Entwicklungen einzuordnen.

Foto: Körber-Stiftung

„Journalisten und die internationale Gemeinschaft sollten sehr vorsichtig sein, welche Nachrichten aus Transnistrien verbreitet werden und welche Botschaften der russischen Propaganda wir so verstärken.”

Paula Erizanu

Journalistin

Foto: Körber-Stiftung

„Die internationale Gemeinschaft muss sich stärker engagieren, es kann nicht sein, dass Russland jedes Recht gewährt und in seine Hände gelegt wird.”

Sergiu Musteață

Historiker und Organisator des moldauischen Geschichtswettbewerbs

„Seit Februar 2022 wissen wir, dass nichts ausgeschlossen werden kann. Transnistrien ist ein Druckmittel Russlands in der Region.“

Andrei Cuşco

Historiker

Donnerstag, 7. März – Vergangenheit und Gegenwart Moldaus

Zu Besuch beim Independent Journalism Center
Zu Besuch beim Independent Journalism Center Foto: Körber-Stiftung

Im Rahmen des Vorprogramms lernten die Wettbewerbsorganisierenden das Gastland Moldau kennen und konnten sich mit wichtigen Partnern vor Ort austauschen, darunter Nadine Gogu, Gründerin des „Independent Journalism Center“ (IJC). Das IJC fördert nicht nur die freie Presse, sondern bietet auch Medienbildung für Schulen an. Kritisches Denken fördern – dieses Ziel teilen IJC und EUSTORY.

Stadtführung durch das Stadtzentrum
Stadtführung durch das Stadtzentrum Foto: Ion Bulicanu

Zudem bot sich die Möglichkeit, die Mitarbeitenden des DVVI International Büros Moldau kennenzulernen. Gefördert vom Auswärtigen Amt organisiert DVV im Rahmen eines Kooperationsprojekts gemeinsam mit ANTIM den moldauischen Geschichtswettbewerb. Der geführte Stadtrundgang durch das Zentrum bildete den Abschluss des ersten Tages.

Freitag, 8. März – Geschichte, KI und Dialog in der polarisierten Welt

Die offizielle Eröffnung der Konferenz folgte am Freitag durch Katja Fausser, Programmleiterin von EUSTORY, und Sergiu Musteață, Gründer des Gastgebers ANTIM. Valentina Olaru, Staatssekretärin im Ministerium für Bildung und Wissenschaft Moldaus, sowie Thomas Paulsen, Vorstand der Körber-Stiftung, begrüßten die Teilnehmenden und dankten für ihr Engagement.

Wie Geschichte die Gegenwart Moldaus prägt, war die Leitfrage des „Moldauischen Kaleidoskops“. In der Eröffnungssession folgte auf kurze Präsentationen mit den wichtigsten Thesen ein intensiver Austausch in Kleingruppen mit den Referenten. Den Anfang machte der Historiker Andrei Cuşco mit einem Kurzvortrag zur Frage, was die moldauische Geschichte einzigartig macht. Wie sich diese historische Erfahrung auf das moldauische Bildungssystem und den Geschichtsunterricht auswirkt, erklärte Sergiu Musteață in seinem Vortrag.

Mire Mladenovski schloss daran thematisch an. Er stellte die Ergebnisse einer Studie zu geschichtsbasierter Propaganda im Geschichtsunterricht in Armenien, Georgien, Moldau und der Ukraine vor, die im Rahmen des vom Auswärtigen Amt geförderten Kooperationsprojekt mit DVV International entstand.

  • Programmleiterin Katja Fausser eröffnet das Netzwerktreffen.
    Programmleiterin Katja Fausser eröffnet das Netzwerktreffen. alle Fotos: Ramin Mazur
  • Staatssekretärin Valentina Olaru begrüßt die Teilnehmenden.
    Staatssekretärin Valentina Olaru begrüßt die Teilnehmenden.
  • Historiker Andrei Cuşco im Gespräch.
    Historiker Andrei Cuşco im Gespräch.
  • Sergiu Musteață, Gründer von ANTIM, während seiner Präsentation.
    Sergiu Musteață, Gründer von ANTIM, während seiner Präsentation.
  • Mire Mladenovski stellt die Ergebnisse der Studie vor.
    Mire Mladenovski stellt die Ergebnisse der Studie vor.

Wie sich neue Technologien auf historische Bildung auswirken, war der Fokus der zweiten Tageshälfte. Den Höhepunkt bildete Pieter Mannak, der an der Hogeschool Utrecht in den Niederlanden Geschichtslehrende ausbildet, mit seinem Input über die Herausforderungen und Chancen von KI im Geschichtsunterricht. Auf eine Erklärung, wie die sogenannten „Large Language Models“ funktionieren, folgte eine Demonstration der Fähigkeiten von ChatGPT, die viele Teilnehmende sprachlos zurückließ. Das Thema KI wird die Organisierenden noch lange begleiten, denn Mannak betonte, dass Schüler und Schülerinnen bereits KI nutzen – auch bei etwaigen Verboten. „Es gibt schlicht keinen Weg zurück“, war sein Fazit.

Den Abschluss des ersten Konferenztages bildete eine „Dialogue Session“. Unter dem Titel „What is moving us?“ schuf Dialogue Facilitator Maja Nenadović Raum für Austausch, Reflexion und offene Diskussion. So konnten auch schwierige Frage, wie jene nach der Zeitgemäßheit von Geschichtswettbewerben, offen angesprochen werden.

  • KI als Herausforderung oder Chance? Pieter Mannak führt in das Thema ein.
    KI als Herausforderung oder Chance? Pieter Mannak führt in das Thema ein. alle Fotos: Körber-Stiftung
  • Maja Nenadović leitete die „Dialogue Session“
    Maja Nenadović leitete die „Dialogue Session“

Samstag, 9. März – Ideen, Inspiration und mehr austauschen

Traditionell war der zweite Tag des Netzwerktreffens für Wettbewerbsthemen reserviert. Der Open Space bot Gelegenheit zum persönlichen Austausch, zu Diskussionen über Social Media und Schreibpraktiken sowie konkrete Inspiration für künftige Themen. Wettbewerbsorganisator Karsten Korbøl aus Norwegen berichtete über seine Erfahrungen mit KI im Geschichtsunterricht berichtete.

Könnten Geschichtswettbewerbe ein Mittel sein, um junge Schulabbrechende wieder für Bildung zu begeistern? Dieser Frage widmet sich ein neues Projekt der spanischen Stiftung Real Maestranza de Caballería de Ronda (RMR), die den iberischen Geschichtswettbewerb mitorganisiert. Direktor Ignacio Herrera de La Muela zeigte sich überzeugt, dass dies möglich sei und verwies auf die selbstermächtigende Wirkung die Wettbewerbe wie EUSTORY bei Schüler:innen haben können. Er hielt ein Plädoyer dafür, dass EUSTORY nicht bloß ein reiner akademischer Wettbewerb sei, sondern zwischenmenschliche Verbindung ermögliche. Nicht nur verbessere sich die Beziehung zwischen Lehrenden und Schüler:innen, auch das Selbstbewusstsein der Teilnehmenden wachse, indem sie ihre eigene Geschichte sichtbar machen können.

Einen sehr bewegenden Abschluss des Open Space bildete der Bericht von Nataliya Sadkova and Iryna Kobyzhcha. Trotz des anhaltenden Kriegs gegen die Ukraine reisten die zwei Vertreterinnen des ukrainischen Wettbewerbs nach Chişinău. Dort stellten sie nicht nur die aktuelle Wettbewerbsrunde vor, die trotz des russischen Angriffs wie geplant stattfindet. Sie teilten auch ihre Erfahrungen als Lehrerinnen, die im Krieg unterrichten.

  • Teilnehmende beim Austausch.
    Teilnehmende beim Austausch. alle Fotos: Körber-Stiftung
  • Karsten Korbøl teilt seine Erfahrungen mit KI.
    Karsten Korbøl teilt seine Erfahrungen mit KI.
  • Ignacio Herrera de La Muela spricht über Schulabbrechende.
    Ignacio Herrera de La Muela spricht über Schulabbrechende.
  • Wie der ukrainische Geschichtswettbewerb trotz des Krieges durchgeführt wird, berichteten Nataliya Sadkova und Iryna Kobyzhcha
    Wie der ukrainische Geschichtswettbewerb trotz des Krieges durchgeführt wird, berichteten Nataliya Sadkova und Iryna Kobyzhcha

Der Abschluss des diesjährigen Netzwerktreffen war indes ein besonderer. Bei einem Ausflug nach Orheiul Vechi, eine der bekanntesten Natur- und Kulturerbestätten Moldaus, konnten die Wettbewerbsorganisierenden das archäologische und historische Erbe des Landes näher kennenlernen.

  • Besuch der Kulturerbestätte Orheiul Vechi.
    Besuch der Kulturerbestätte Orheiul Vechi. alle Fotos: Körber-Stiftung
  • Teilnehmende vor dem Orheiul Vechi Höhlenkloster.
    Teilnehmende vor dem Orheiul Vechi Höhlenkloster.

Geschichtswettbewerbe in einer polarisierten Welt: wichtiger denn je

51 Jahre – so lange gibt es bereits den ältesten Wettbewerb im EUSTORY-Netzwerk. Dass das Konzept trotz seines Alters noch nicht überholt ist, zeigten die Sessions auf dem Netzwerktreffen eindrucksvoll. Kritisches Denken, eines der Kernziele der Wettbewerbe, ist in Zeiten von Deep Fakes und Propaganda eine unverzichtbare Kompetenz. In Zeiten der Polarisierung ermöglichen Geschichtswettbewerbe bislang ungehörte Geschichten ans Licht zu bringen.

Dabei müssen die Wettbewerbe ständig auf neue Entwicklungen wie KI eingehen. Das Netzwerktreffen bot hier Raum zum Austausch und zur Inspiration. Angesichts der vielen Herausforderungen ist die jährliche Konferenz für die Organisierenden ein geschätzter Ort für Reflektion. So antwortete ein Teilnehmer auf die Frage, welche Erkenntnisse er mit nach Hause nehme: „Es gibt keinen falschen Weg einen Wettbewerb zu organisieren“. Eine andere Teilnehmerin ergänzte, dass es sehr bereichernd sei, sich mit Leuten auszutauschen, die das Gleiche – aber vielleicht auf bessere Art und Weise – tun.

Nachtrag

Als Tagungsort für eine Diskussion über „Geschichte in einer polarisierten Welt“ erwies sich Moldau als goldrichtig. Die Teilnehmenden erfuhren nicht nur von den vielen Herausforderungen Moldaus, sondern lernten auch die Zivilgesellschaft vor Ort kennen. Mit der Frage, wie die moldauische Zivilgesellschaft gegen russische Propaganda und für eine europäische Zukunft kämpft, beschäftigte sich auch die Journalistin Paula Erizanu, die zu Gast auf dem Netzwerktreffen war. In ihrem Artikel schreibt sie, wie Medien und Zivilgesellschaft an vorderster Front im hybriden Krieg um die Herzen und Köpfe der Moldauer stehen.

Impressionen von der Netzwerktagung 2024

  • Vor Beginn des Netzwerktreffens im „Classroom of the Future“.
    Vor Beginn des Netzwerktreffens im „Classroom of the Future“. alle Fotos, wenn nicht anders angegeben: Ramin Mazur
  • Grußwort von Staatssekretärin Valentina Olaru.
    Grußwort von Staatssekretärin Valentina Olaru.
  • Vorstandsmitglied Thomas Paulsen begrüßt die Teilnehmenden.
    Vorstandsmitglied Thomas Paulsen begrüßt die Teilnehmenden.
  • Diskussion mit dem Historiker Andrei Cuşco.
    Diskussion mit dem Historiker Andrei Cuşco.
  • Sergiu Musteață im Austausch mit Teilnehmenden.
    Sergiu Musteață im Austausch mit Teilnehmenden.
  • Lebhafte Diskussionen in der Gruppe.
    Lebhafte Diskussionen in der Gruppe.
  • Auch außerhalb des Programms blieb Zeit für Austausch.
    Auch außerhalb des Programms blieb Zeit für Austausch.
  • Austausch am runden Tisch.
    Austausch am runden Tisch.
  • Diskussion in Kleingruppen.
    Diskussion in Kleingruppen.
  • Teilnehmende testen die VR-Brillen im „Classroom of the Future“.
    Teilnehmende testen die VR-Brillen im „Classroom of the Future“.
  • Austausch im Plenum.
    Austausch im Plenum. Foto: Körber-Stiftung
  • Stadtführung durch die Innenstadt.
    Stadtführung durch die Innenstadt. Foto: Ion Bulicanu
  • Hier soll in Zukunft ein Modell der historischen Altstadt stehen.
    Hier soll in Zukunft ein Modell der historischen Altstadt stehen. Foto: Ion Bulicanu
  • Besuch der Kathedrale der Geburt des Herrn.
    Besuch der Kathedrale der Geburt des Herrn. Foto: Ion Bulicanu
  • Abschluss der Stadtführung vor dem Triumphbogen.
    Abschluss der Stadtführung vor dem Triumphbogen. Foto: Ion Bulicanu