Eine gute Gesprächskultur in Stadt- und Gemeinderäten stärkt Kommunalpolitik, die Basis unserer Demokratie.

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Mehr Respekt, bitte!

Kommunalpolitisches Engagement ist eine wichtige Säule der Demokratie. In Stadt- und Gemeinderäten werden Entscheidungen getroffen, die unmittelbare Auswirkungen auf den Alltag der Bürger:innen haben. Doch selten ernten die zumeist ehrenamtlichen Ratsmitglieder dafür Anerkennung aus ihrer Einwohnerschaft, weit eher hören sie Kritik.

Und diese kann manchmal sehr destruktiv sein, erst recht, wenn damit verbale oder gar körperliche Gewalt einhergeht. Besonders betroffen sind davon die Bürgermeister:innen. Doch der Unmut kommt nicht nur von außen. Auch in den Ratsversammlungen selbst eskalieren die Debatten. Mehrere von ihnen berichteten von einem zunehmend rauen Ton in den Auseinandersetzungen um kommunalpolitische Entscheidungen. Konflikte seien parteipolitisch aufgeladen und mündeten geradewegs in Streit. Dass dies keine Einzelfälle sind, zeigt die Berichterstattung vieler Zeitungen, Online- und Funkmedien, sei es auf lokaler oder auf nationaler Ebene. Spätestens seit dem Einzug der AfD in kommunale Räte sowie in Parlamente auf Landes- und Bundesebene tritt hier verstärkt die Frage in den Vordergrund, wie sich die Qualität von Debatten auch unter Politiker:innen entwickelt hat.

Mehr Respekt, bitte! (04/2022)

„Wenn es abseits des thematisch Politischen einfach zu persönlich und verletzend wird, dann ist der Diskurs schon überschritten. Also ich meine, man kann ruhig hart diskutieren. Aber es sollte halt alles noch in dem Bereich ablaufen, wo man dem anderen noch in die Augen schauen kann.“

Männlicher FDP-Abgeordneter

Das Problem

Grenzüberschreitungen im Rat

Unsere empirische Untersuchung geht der Frage nach dem Zustand der Diskussionskultur in Stadt- und Gemeinderäten nach. Dafür wurden 30 leitfadengestützte Tiefeninterviews mit Ratsmitgliedern geführt und analysiert. In einem ersten Schritt wurde ausgelotet, was die befragten Ratsmitglieder unter Diskussionskultur verstehen. Dabei wurde deutlich, dass sie, unabhängig von der Gemeindegröße, Parteizugehörigkeit oder dem Geschlecht, ein sehr ähnliches Grundverständnis von Diskussionskultur teilen. Insbesondere die Grenze, ab der das faire Miteinander verlassen wird, ist von den Befragten einheitlich benannt worden. Diskussionen überschreiten dann die rote Linie, wenn Äußerungen ins Persönliche gehen und sich nicht mehr auf die Sachebene beziehen. Darunter fallen etwa das Streuen von Gerüchten, Beleidigungen, Drohungen oder ein aggressiver, angreifender Tonfall. Auch wenn solch massive Grenzüberschreitungen relativ selten vorkommen, zeigt sich in fast allen Räten ein großer Verbesserungsbedarf bezüglich der Diskussionskultur.

Unter Beachtung des Verständnisses der Ratsmitglieder lässt sich ein mehrschichtiges Modell der Diskussionskultur aufstellen. Dessen einzelne Dimensionen bedingen sich zum Teil gegenseitig, sollten aber jede für sich beachtet werden, um eine lösungsorientierte und fruchtbare Debatte führen zu können.

Die faire Diskussion

Anhand von fünf Dimensionen lässt sich die Diskussionskultur der Ratsmitglieder bewerten.
Anhand von fünf Dimensionen lässt sich die Diskussionskultur der Ratsmitglieder bewerten. Illustration: Angela Gerlach

Die fünf Dimensionen der Diskussionskultur

1. Beachtung von Grenzen

Alle Diskutierenden enthalten sich persönlicher Anfeindungen, Beleidigungen, ironischer Anspielungen auf Eigenarten oder Schwächen anderer Diskussionsteilnehmer:innen oder sonstiger Ehrverletzungen. Deren Privat- oder Familienleben ist tabu, sofern sie es nicht selbst in die Diskussion einbringen. Sexistische oder rassistische Anspielungen unterbleiben.

2. Gegenseitiger Respekt

Gute Diskussionskultur bedeutet für viele einen respektvollen Umgang, beispielsweise indem man das Gegenüber ausreden lässt, einander zuhört und höflich miteinander umgeht. Die Kommunalpolitiker:innen wünschen sich dabei voneinander nicht nur eine Bereitschaft zum Zuhören. Es geht also darum, mit welcher Haltung gegenüber anderen die Diskussion geführt wird.

3. Fachlichkeit und Sachlichkeit

Gewünscht sind eine informierte Diskussion sowie ein Austausch von sachlichen Argumenten und Haltungen. Dies wird verstanden als eine zielführende und effektive Debatte, die sich nicht unnötig in die Länge zieht. Die Kommunalpolitiker:innen äußern überdies den Wunsch, dass Fakten wahrheitsgemäß wiedergegeben und keine Aussagen aus dem Kontext genommen oder verdreht werden.

4. Offenheit und Kompromissbereitschaft

In den Interviews gefordert wurde ebenso die Bereitschaft, Positionen nach Diskussionen zu revidieren, nicht starr zu bleiben sowie die Fähigkeit, Kompromisse einzugehen.

5. Parität

Eine Diskussion lebt vom Austausch verschiedener Positionen und Perspektiven. Daher ist es vielen wichtig, dass sich alle Ratsmitglieder an den Diskussionen möglichst gleichberechtigt beteiligen können. Darunter fällt, auf die eigene Sprechzeit zu achten und selbst einen nicht zu großen Raum in der Debatte einzunehmen. Die Ratsmitglieder betonen darüber hinaus, dass es wichtig ist, dass alle sich an der Debatte beteiligen und ihre Position im Rat vertreten. Auseinandersetzung und Streit in der Sache sind durchaus gewünscht.

Die Lösungswege

Eine gute Diskussionskultur in Stadt- und Gemeinderäten erhält die Motivation für kommunalpolitisches Engagement.
Eine gute Diskussionskultur in Stadt- und Gemeinderäten erhält die Motivation für kommunalpolitisches Engagement. Illustration: Angela Gerlach

Politik und Zivilgesellschaft müssen handeln

Vor dem Hintergrund der bereits hohen Anforderungen des Ehrenamts ist nachvollziehbar, dass sich eine negative Diskussionskultur auch negativ auf die Motivation der Ratsmitglieder auswirkt. Wenn das eigene politische Engagement zur Belastung wird, sind die daraus resultierenden Konsequenzen für die ganze Kommune nicht zu unterschätzen: Die Bereitschaft zur Teilhabe von politisch Engagierten sinkt. Hier zeigt sich eine große Divergenz zwischen der Bedeutung des Ehrenamts für die Demokratie und den Arbeitsbedingungen der ehrenamtlichen Ratsmitglieder.

Zur Lösung bestehender Konflikte werden zwar häufig individuelle Strategien herangezogen, ein gemeinsames und strukturelles Vorgehen im Rat fehlt jedoch. Damit wird aber eine systematische Verbesserung verhindert und der Umgang mit Problemen in die Verantwortung Einzelner übergeben. In der Untersuchung wird auch deutlich, wie unterschiedlich die Ratsmitglieder die Diskussionskultur in ihrer Kommune erleben und bewerten. So sind Frauen nicht nur von sexistischen Grenzüberschreitungen betroffen, sondern empfinden häufig auch die gesamte Diskussionskultur als zu rau und zu dominant männlich. Frauen haben es damit offenbar schwerer in der Kommunalpolitik als ihre männlichen Kollegen, denn sie müssen sich mit spezifischen Übergriffen auseinandersetzen und sich im männlich konnotierten Feld der Kommunalpolitik stärker durchsetzen. Wenn also für die kommunale Gesprächskultur das Prinzip gilt, ohne „dickes Fell“ habe man in der Politik wenig verloren, wird dies bestehende Repräsentationsprobleme verstärken. Insbesondere der Versammlungsleitung kommt dabei in positiver wie negativer Hinsicht eine zentrale Rolle zu – je nachdem, wie hoch ihre Kompetenz in deeskalativer Gesprächsführung ausgeprägt ist. Aber auch andere Aspekte, wie die Anwesenheit konfliktsuchender Einzelpersonen oder populistischer Fraktionen im Rat, die Behandlung emotional aufgeladener oder stark polarisierender Themen sind bedeutsame Variablen.

Die geschilderten Probleme sind offensichtlich: Die von den Ratsmitgliedern über die Jahre hinweg beobachtete Verschlechterung der Diskussionskultur erfordert das Handeln von Politik und Zivilgesellschaft. Ein zentrales Ziel der Studie ist deshalb die Formulierung und Bewertung konkreter Lösungsansätze. Zur Verbesserung der Kommunikationskompetenz der Ratsmitglieder und der Versammlungsleitung bieten sich etwa Schulungen an. Eine weitere Möglichkeit stellt die Entwicklung eines Kodex für gute Diskussionskultur dar.

Mit dem Pilotprojekt „Respekt im Rat“ erarbeitet die Körber-Stiftung in enger Zusammenarbeit mit den Kommunen ein gemeinsames Verständnis und Leitlinien für ein respektvolles Miteinander. Dieser Prozess soll innerhalb der Räte eine Reflexion über die eigene Diskussionskultur anstoßen und diese nachhaltig verbessern.

Das Ziel dieser Studie ist es also, nicht nur ein bisher wenig beachtetes Thema näher zu untersuchen, sondern auch kommunalpolitischen Akteur:innen konkrete Wege aufzuzeigen, wie sie die Diskussionskultur verbessern und Grenzüberschreitungen möglichst vermeiden können. Allem voran ist es unser Anliegen, die ehrenamtlich tätigen Ratsmitglieder in ihrer politischen Arbeit zu unterstützen.

Studie

„Mehr Respekt bitte!“ Diskussionskultur in der Kommunalpolitik

Die Broschüre „Mehr Respekt bitte“ können Sie auch als Printexemplar kostenfrei bestellen. Schreiben Sie uns einfach eine E-Mail an dez@koerber-stiftung.de.

Zur Pressemitteilung

Kontakt

Katrin Klubert

Programmleiterin
Kommune und Resilienz

Martin Meister

Programmleiter
Engagement

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