Geschichte und Erinnerung in Games

Geschichte ist Gegenwart! Der History & Politics Podcast der Körber-Stiftung

  • Digitalisierung
  • Geschichte
  • 28 Min.
  • 31. Episode

ein Gespräch mit Historiker Nico Nolden

Die Darstellungen von Geschichte in Games beeinflussen unsere Perspektive auf Geschichte und doch werden Videospiele noch zu wenig als Kulturgut ernst genommen. Welche Chance bieten Videogames für eine kritische Auseinandersetzung mit Geschichte? Der Historiker Nico Nolden gibt Einblicke in die spannende Welt der Geschichte und Erinnerung in digitalen Spielen.

Das Manuskript und weitere Informationen finden Sie auf unserer Podcast-Website.

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Erwähnte und weiterführende Literatur:

„Unsere Fantasie anzuregen und mit Gedankenspielen umzugehen, wie hätte es anders laufen können, ist die Kerneigenschaft von digitalen Spielen. Ich finde es gemein, zu sagen, das ist Geschichtsklitterung, sondern es ist in vielerlei Weise die große Eigenschaft, die digitale Spiele zum Medienkonzert beitragen.“

Nico Nolden, Historiker

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Erwähnte und weiterführende Literatur

Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von History and Politics, dem Podcast der Körber-Stiftung zu Geschichte und Politik. Mein Name ist Fiona Fritz und ich leite unser Programm eCommemoration, in dem es um Geschichte und Erinnerung in digitalen Räumen geht. Normalerweise geht es in unserem Podcast um die Frage, wie die Vergangenheit die Gegenwart prägt. Heute haben wir aber einen besonderen Dreh und fragen, wie unsere Gegenwart den Blick auf Geschichte prägt und wie neue digitale Formate unsere Erinnerungspraxis verändern.

Im Mittelpunkt der heutigen Folge stehen dabei digitale Spiele, also Videogames. 2021 spielten über 58 Prozent der Deutschen mindestens gelegentlich auf PCs, Konsolen oder Smartphones. Das Durchschnittsalter der Spielenden steigt stetig. Trotzdem werden Videogames selbst noch zu wenig als Kulturgut ernst genommen. Aber die Darstellung von Geschichte in Videogames beeinflusst unsere Perspektive auf Geschichte, ob gewollt oder nicht. Deshalb fragen wir uns, welche Funktionen kann Geschichte in digitalen Spielen haben? Bloße Unterhaltung, Vermittlung oder reine Kulisse? Wie prägen Videogames unseren Blick auf Geschichte? Welche Chance bieten Videogames für eine kritische Auseinandersetzung mit Geschichte? Und welche Risiken und Nebenwirkungen gibt es? Über diese Fragen habe ich mit Niko Nolden gesprochen. Er ist Dozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter für Public History an der Leibniz Universität Hannover. In seiner 2020 publizierten Doktorarbeit hat er sich mit Geschichte und Erinnerung in digitalen Spielen befasst. Er engagiert sich im Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und digitale Spiele und leitet Workshops für Museen und Gedenkstätten, sowohl in der Erforschung von Games als auch in der Praxis der Spieleentwicklung.

Damit Sie liebe Zuhörerinnen und Zuhörer nach dem Hören dieser Podcast-Folge einen ganz lebendigen Eindruck der Vielfalt dieses Themas erhalten können, haben wir viele spannende Links, Videos und Einblicke rund um Geschichte und Erinnerung in digitalen Spielen in den Shownotes gesammelt.

Fiona Fritz: Ich würde gerne mit einer ganz grundsätzlichen Frage anfangen. Vielleicht für Menschen, die selbst noch keine digitalen Spiele gezockt, gespielt haben.

Nico Nolden: Soll es immer noch geben. Kann ich nicht verstehen, aber ich muss davon abraten.

Wie verbreitet ist denn Geschichte als Thema in digitalen Spielen überhaupt? Ist das Spielen mittlerweile so verbreitet, dass wir uns jetzt drüber unterhalten?

Auf jeden Fall. Ich muss das sagen, da ich mich qua Beruf damit beschäftige. Aber es ist in der Tat so, dass auf unterschiedlichen Plattformen ein unterschiedlicher Gehalt von Geschichte existiert. PC-Spiele sind stark Geschichte lastig. Im mitteleuropäischen Raum noch viel mehr als in anderen Sprachregionen. Geschichte ist da sehr verbreitet. Auch wenn es schwierig ist, mit Statistiken zu argumentieren, hat man Belege dafür, dass es wächst. Geschichte ist ein wachsendes Thema.

Wenn man auf Konsolen guckt – dort ist das durch die Steuerung schwieriger – zum Beispiel fallen dort Strategiespiele eher raus, weil die schwieriger zu steuern sind. Das heißt, es gibt Auf Konsolen mehr Actionspiele. Es gibt wenig Forschung zu Smartphone-Spielen. Da gibt es aber auch sehr interessante Beispiele für Geschichte. Die Reichweite ist dann gleich weltweit und riesengroß. Einmal als Unterhaltung, große Blockbuster sind tatsächlich eher Millionen-Dollar-Geschäfte, die Geschichte dafür nutzen, einen guten Ertrag zu machen. Aber auch die entwickeln Lernsoftware, so kann man es fast nennen, parallel und schaffen Möglichkeiten, dass Spielerinnen und Spieler selbst etwas entwickeln können. Das finde ich bei digitalen Spielen immer einen wichtigen Punkt. Man greift nicht nur handelnd ins Spiel ein, sondern kann auch oft das Spiel verändern. Auf der anderen Seite gibt es Spiele, die fast schon, so wie sie sind, im Geschichtsseminar eingesetzt oder in Gedenkstätten verwendet werden können. Da gibt es eine riesige Bandbreite und deswegen ist es auch so wichtig, sich damit zu befassen.

Welche unterschiedlichen Funktionen kann denn Geschichte in einem digitalen Spiel haben? Ist das nur Kulisse oder hat die Geschichtsvermittlung bei unterschiedlichen Spielen eine ganz zentrale Rolle? Wie würden Sie das beschreiben?

Eins vorne weggeschoben, jeder Spieler und jede Spielerin nimmt zuerst mal das mit, was man von dem Spiel erwartet. Man kann ein Assassins‘ Creed Spiel, diesen großen Blockbuster, wie einen bombastischen Schnetzler spielen, wo man nur kämpft und sich die Zwischensequenzen anguckt, weil man nur die Hauptmission macht. Heißt aber nicht, dass das jeder macht. Jemand wie ich, der jeden Felsen umdrehen muss, auf jeden Berg klettert, jede Nebenquest finden muss, mit jeder Person gesprochen haben muss, weil er eine Art Forschergeist mit sich mit herumschleppt und dadurch ein anderer Spielertyp ist, der erlebt ein ganz anderes Spiel. Das heißt, ein Spiel, so wie es im Regal steht oder mittlerweile nur noch downloadbar ist, ist nicht für jeden Spieler, jede Spielerin dasselbe historische Erlebnis. Nicht nur die Spielweise, sondern auch die historische Vorerfahrung spielen eine unglaubliche Rolle, weil man die Geschichtserzählung, die Inszenierung im Spiel in der Regel selbst zusammenfügt.

Dann kommen wir zu dem Begriff „Serious Games“. Serious Games ist ein Unbegriff für mich, weil ich weiß, dass es eine Marketingetikette ist. Das ist wichtig, um das Spiel an bestimmte Partner verkaufen zu können, aber das Kernproblem ist, dass dadurch der Eindruck erweckt wird, andere Spiele können das nicht. Man kann im Prinzip immer Serious Games machen, indem man ein Setting baut, in dem diese Spiele angewendet werden können, was ich im Universitätsalltag mache. Jedes Spiel wird ein Serious Game, das kommt dann nur auf die Begleitung an und auf die Art und Weise, wie man damit umgeht: Ob man eher reflektiert damit umgeht, es analysiert, es für bestimmte Zwecke anwendet, gewisse Ausschnitte für Zwecke anwendet oder ob man mit Schülerinnen und Schülern diese Spiele vergleicht. Serious Games suggeriert, dass es bestimmte Arten von Spielen gäbe, die Gewohnheiten in der Geschichtswissenschaft entsprechen. Das heißt Spiele, die textlastig und eher linear sind und maximal Minispiele haben, die danach wieder eingefangen werden, damit man bei dieser linearen Deutungshoheit bleibt. Deswegen stehe ich damit ein bisschen auf Kriegsfuß. Was nicht heißt, dass diese Idee dahinter, man könne mit Spielen Szenarien schaffen, in denen man substanziell Erfahrungen über Geschichte lernt, nicht möglich ist. Das will ich damit ausdrücklich nicht sagen. Ich habe nur das Problem, dass das auf viele Spiele zutrifft, wenn man sie richtig anwendet.

Also ist auch hier die Trennung zwischen Unterhaltung und Vermittlung immer ein, kommt drauf an, wie man es einsetzt und wie man es spielt?

Richtig, das würde ich tatsächlich sagen.

Welchen Beitrag leisten denn Spiele, digitale Spiele oder können leisten zu unserer Erinnerungspraxis? Oder ich verwende jetzt hier diesen großen Begriff Erinnerungskultur, also wie verändern Spiele, digitale Spiele unseren Blick auf Geschichte und unsere Erinnerungskultur?

Das hängt damit zusammen, ob die digitalen Spiele überhaupt die Erinnerungskultur beeinflussen können, ob man sie ernst nimmt als Medium zur Geschichtsverarbeitung. Bei der Wirkungsforschung sind wir Historikerinnen und Historiker sehr schlecht. Rezeptionsforschung ist schlecht, was lernen Menschen daraus? Ein Kollege, Daniel Gierer, hat ein tolles Buch über die Medienbildung geschrieben und ein Modell entwickelt. Was bleibt haften, wenn man das spielt? Er hat vorher und nachher verglichen, allerdings nur mit kleinen Fallzahlen. Das heißt, wir bräuchten dringend eine Studie, die das im größeren Maßstab überprüft. Das defensiv vorneweg gesetzt.

Was aber aus meiner Erfahrung, aus der Erfahrung anderer Kollegen, aus den Gesprächen mit Studierenden, sicher ist, dass die Spiele als etwas wertvolles wahrgenommen werden, weil sie oft als Anlässe genommen werden, um zu studieren. Man hat den Geschichtsunterricht gehasst, aber in Spielen wie „Age of Empires“ hat man entdeckt, was es alles gibt und sich dann selbst belesen. Ich glaube, dass digitale Spiele für sehr viele Zwecke sehr gut einsetzbar sind. Um konkret jetzt Beispiele zu nennen, handlungsorientierte Dinge: Wie handle ich in der Geschichte und was davon kann man überhaupt nachahmen? Was sind Geschichtspraktiken, würde man als Fachmann, Fachfrau dazu jetzt sagen. Nur weil ich eine Handlung in einem Mittelalterdorf mache, heißt es nicht, dass die eine historisch belegbare Handlung ist. Zum Beispiel kann man Schmieden vielleicht noch belegen, aber das Verkaufsgespräch an einem Gemüsestand im Mittelalterdorf von „Kingdom Come: Deliverance“ ist schwierig zu belegen. Das heißt, wo sind die Grenzen, wo sind die Einsatzmöglichkeiten und wo muss man auch Mut zur Lücke haben?

Darüber kann man auch viel über Text und die Textkultur lernen. Hier ist doch in dem Fachbuch ein Sachtext, der ordentlich beschriebt, was das Schmiedehandwerk ist. Ja, aber auch ein Buch sorgt für Anregungen, für Bilder im Kopf. Jeder von uns hat unterschiedliche Vorstellungen darüber. Begriffe im Text sind unterschiedlich konnotiert, je nachdem ob ein Muttersprachler liest oder ob jemand liest, der die Sprache neu lernt oder die Sprache in einem anderen Zeitalter verwendet. Das sind große Probleme, denen wir uns noch nicht richtig bewusst sind. Mit digitalen Spielen können wir etwas lernen, was unsere Textkultur und dann auch unsere akademische Textkultur zu hinterfragen hilft.

Spannend. Welche Rolle spielt das für unsere Erinnerungskultur, wie beeinflusst es unsere Erinnerungspraxis? Man kann sagen, ob wir es als Gesellschaft oder als Wissenschaft wollen oder nicht, Geschichte in digitalen Medien, in digitalen Spielen findet statt.

Ja, offensichtlich wollen wir es.

Wir wollen es auch.

Die Gesellschaft, wer ist denn das? Ich höre das oft, kein direkter Vorwurf, von Institutionen oder auch Politikern, wollen wir das überhaupt als die Gesellschaft? Moment mal, die Leute kaufen das, die spielen das, sie gehen ins Geschichtstheater, sie fahren nach Bad Segeberg und gucken sich Karl May an. Die Gesellschaft will das. Die Frage ist doch, wie befähigen wir die Gesellschaft dazu, damit reflektiert und adäquat umzugehen? Es ist diese Bewahrungspädagogik, so nenne ich das, dass man auch im Geschichtsunterricht denkt, man könne die Schülerinnen und Schüler davor bewahren, ein bestimmtes Medium zu benutzen oder in einer falschen Weise zu benutzen.

Ich würde gerne nochmal eine Ebene zurückgehen, zu der Frage nach Chancen und Risiken, Möglichkeiten und Grenzen von digitalen Spielen. Ein paar Stichworte würde ich einfach in den Raum werfen. Was können Spiele besonders gut? Ist es die Begeisterung für Geschichte, ist es aber auch die Verzerrung von Geschichte, vielleicht sogar Geschichtsklitterung? Kann es die Komplexität besonders gut vermitteln? Vielleicht wollen Sie dieses Spannungsfeld mal aus Ihrer ganz persönlichen Perspektive skizzieren.

Das ist tatsächlich etwas, was im Werden ist, wo ich selbst noch nicht die richtigen endgültigen Schlüsse habe. Die Begeisterung ist oft das Argument von Lehrerinnen und Lehrern und von Museen. Um dann über die Begeisterung von Spielen wieder zu alten Quellen zu kommen, also zu Büchern, zu dem FWU-Video von 1980. Jetzt haben wir uns über Spiele unterhalten, aber jetzt machen wir die ordentliche Geschichte. Ja, Sie lachen, aber das ist…

Ich lache darüber, dass sofort das Logo in meinem Kopf auftaucht.

Das FWU, das haben wir doch alle. Die Filme waren zu ihrer Zeit vielleicht nicht unbedingt alle schlecht. Das will ich damit gar nicht sagen und sie haben auch im Bereich digital eine ganze Menge gemacht. Was mein Beispiel nur deutlich machen will, ist, wir verstehen noch nicht, warum sie begeistern, warum gerade Geschichte so begeistert. Wir leiten daraus ab, dass die irgendwie begeistert sind und nutzen diese positive Energie, um sie mit anderem zu beschäftigen. Das ist ein bisschen kurz gedacht und auch ein bisschen kindisch. Wir verkaufen den Schülerinnen und Schülern ein U-Boot oder die trockenen Inhalte im Museum.

Ich hatte es in diesem Podcast schon angedeutet, Alternativen sind das zentrale Handeln. Wir müssen historische Inhalte identifizieren, die besonders gut durch handlungsorientierte Ansätze verkörpert werden können. Bei dem Game-Jam Hanse, mit dem europäischen Hanse-Museum in Lübeck, sind Ideen von Entwicklerinnen und Entwicklern mit uns als Historikerinnen und Historiker entstanden, die genau das können. Zum Beispiel zur Navigation im Ostseeraum: Jeder denkt, die hatten große Koggen, einen Kompass und haben nach den Sternen navigiert. Nein, haben sie nicht. Die haben meistens nicht nach den Sternen navigiert und hatten in der Regel auch keinen Kompass. Der kam erst sehr spät. Die meisten navigierten über Landmarken, Strömungsverhältnisse oder sowas. Die Überlieferung dieses Wissens konnte man gut über ein Videospiel erklären und erläutern: Der eine hat der anderen Spieler:in erklärt, was auf den Karten zu sehen ist, die zufällig generiert wurden. Die anderen Spieler:innen musste dann anhand dieser Karten diese Seefahrt bewältigen, bekam aber ähnliche Karten gezeigt. Dann wurde deutlich, wie schwierig das wird. Das ist nur ein Beispiel von vielen, die durch den handlungsorientierten Ansatz entstanden sind. Nur dieser handlungsorientierte Ansatz ist sinnvoll, um Wissen zu transportieren. Es hat nicht die gleiche Wirkung, wenn ich seitenweise einen Text schreibe, wie ein Hansekaufmann ein Lot benutzt oder ein Schiff fährt, oder es zeige. Das hat ein anderes Vermittlungsziel.

Das ist das, was digitale Spiele wirklich gut können, Menschen in Situationen versetzen. Wenn Sie mir noch einen Wunsch gestatten. In Zukunft würde ich mir wünschen, dass es weniger Einzelerfahrungen sind, sondern dass zum Beispiel auch bei VR und Augmented Reality mehrere Menschen zusammen etwas machen. Denn Geschichte ist in der Regel das Zusammenwirken von Personen und Gruppen. Beispielsweise müssten Sie entscheiden, wie ein Schiff beladen wird, dann gibt es Leute, die ohne einen Helm dastehen, Leute, die an Deck eines nachgebauten Kulissenschiffes stehen und das dann umsetzen müssen, die anderen haben Tabletts draußen und müssen anhand von Texten oder so auswählen, was für Geräte zu welcher Zeit dabei sein müssen. Da gibt es sicher noch viele Möglichkeiten, wie digitale Spiele unser Herangehen an die Geschichte in solchen öffentlichen Institutionen bereichern können. Damit können sie einen eigenen Beitrag neben Buch, neben performativen Inszenierungen oder Filmen einnehmen. Alle diese Medien sind nie verschwunden. Sie haben alle nur eine bestimmte Rolle gefunden. In diesem Konzert aus verschiedenen Mediensorten haben digitale Spiele dann zurecht ihren Platz als Geschichtsorte, wie Torsten Logge das nennt, gefunden. Ich arbeite hart daran, dass wir begreifen, wie wir sie sinnvoll für soziale Zusammenhänge einsetzen können.

Das heißt, man muss diese Ebene kontextualisieren, es müssen sich mehr Historiker*innen dazu äußern, sich positionieren, sich informieren, die Spiele spielen und kennenlernen. Das ist, wie bei anderen Medien auch, eine notwendige Voraussetzung, weil uns immer wieder Spiele begegnen werden, die einfach nachweislich ein falsches Geschichtsbild, eine problematische Perspektive auf Geschichte vermitteln. Da schrillen, gerade wenn wir uns diesem jungen Themenfeld widmen, die Alarmglocken noch sehr laut. Ich fände es schade, wenn die ganz verklingen.

Ich klinge vielleicht ein bisschen zu euphorisch, aber ich würde dafür plädieren, dass mehr Historikerinnen und Historiker selbst spielen. Es ist wichtig, dass man diese eigenen Spielerfahrungen macht, weil diese Perspektiven und die Spielweisen so unterschiedlich sind. Es macht einen Unterschied, sich selbst an ein Medium heranzuarbeiten, das so interaktiv und partizipativ ist. Ich glaube, dass die Alarmglocken sehr gut sind, aber wir haben schon genug Leute mit Alarmglocken.

Okay.

Wir haben am Anfang im Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und digitale Spiele auch überlegt, ob wir die goldene Himbeere der Videospiele vergeben. Mein Argument war aber, es gibt doch so viel, was man loben könnte. Das ist schwieriger als irgendwas abzukanzeln. Das zeugt davon, dass die Leute, die alles abkanzeln, eher die sind, die sich nicht fundiert damit beschäftigt haben. Denn auch ein Spiel, das meinetwegen völkische Stereotype verwendet, kann dafür verwendet werden, den Spielerinnen und Spielern deutlich zu machen, hier sind völkische Stereotype am Werk. Ein Spiel wie „Steel Division 2“, das zum zweiten Weltkrieg arbeitet und sich quasi neutral an der Ostfront gebiert, aber den Begriff Osttruppen verwendet oder Volkssturm als Truppen aufführt. Man spielt diese Truppen an der Front. Interessant sind auch die Lücken in Spielen bei der Geschichte. Zum Beispiel heben Kriegsgefangene einfach nur eine weiße Flagge und verschwinden vom Spielfeld. Sie müssen nirgendwo hin transportiert werden, bilden eigene Truppen oder was auch immer im Strategiespiel Sinn machen würde. Diese modellbauartigen Landstriche, die man spielt, sind nicht durch verbrannte Erde verwüstet oder man findet Massengräber. Das heißt, auch diese Lücken der Darstellung sind wichtig zu begleiten.

Spielerinnen und Spieler, gerade die, die meinen, alles über Geschichte zu wissen, und davon gibt es auch als Geschichtsstudierende eine ganze Menge, rate ich immer, mit anderen darüber zu reden, was für Eindrücke sie haben, um neue Blickwinkel zu gewinnen. Man sieht nicht, was in einem Spiel nicht verbaut ist. Das kann man auf Anhieb nicht sehen und dann braucht man historisches Vorwissen. Das heißt, die Alarmglocken sind wichtig, aber man muss sie im Kontext dieses einen Spiels und der Spielmechanik verstehen lernen und dafür ist das eigene Handanlegen und das eigene Spielen, dann auch nicht allein im stillen Kämmerlein, sehr wichtig. Man guckt keinen Film. Man macht etwas, was eher eine interaktive Performance ist, so ähnlich muss man sich das vorstellen und nicht als für alle gleiche durchkonzertierte Medienform wie ein Film.

Genau, das spielt die Rolle der Spielenden an. Die sind keine reinen Zuschauer, sondern Teil des Geschehens.

Damit sind wir wieder bei dem Thema Alarmglocken Wir müssen bei digitalen Spielen darauf achten, welche Spielerinnen und Spieler unsere Zielgruppen sind und gezielt darauf einsetzen und auf den Missbrauch von solchen interaktiven Inszenierungen reagieren. Wir dürfen das nicht als Randerscheinung betrachten, sondern müssen auch politische Bildungsarbeit machen z.B. Workshops für Entwicklerinnen und Entwicklern, um zu verstehen, wo Leitplanken zu setzen sind. Die Rezipientinnen und Rezipienten sind Teil der Inszenierung, sie sind mittendrin, sie steuern die Inszenierung. Sie wählen aus, was sie davon sehen, die Spielweise bestimmt darüber, wie man es zusammensetzt und ob man zum Beispiel nur die Hauptgeschichte oder die ganzen Nebengeschichten ergründet. Ob man viel mit Mitmenschen handelt, also Dinge in dem Spiel tut und kommuniziert oder ob man als Eigenbrötler in der Ecke sein Ding macht.

Es ist ein riesiges Problem, dass wir uns, wie bei anderen Medienformen, bei anderen Geschichtssorten, wie Torsten Logge sagt, kein Wissen drauf geschafft haben, wie wir mit Rezipientinnen und Rezipienten umgehen können. Dann reden wir von Konstruktivismus und Geschichtsbewusstsein, da wird es zu Empirie. Wenn wir in die Zukunft der Forschung gucken, müssen wir Geschichtswissenschaftler, Soziologen und die Psychologie zusammenbringen, um nicht an Dingen zu forschen, wie, macht ein Gewaltspiel mein Kind zum Amokläufer. Eine gewaltspezifische Fragestellung, die ich für sehr viel sinnvoller halte, wäre, sorgen digitale Spiele dafür, dass es normaler wird, zu militärischen Lösungen, im Sinne eines Armeeeinsatzes, zu greifen? Das wäre etwas, was mich viel mehr interessiert als dieser Kurzschluss, ein Sportspiel macht jemanden aggressiv und nimmt dann die Armbrust und schießt jemanden über den Haufen, Blödsinn.

Für die Geschichtswissenschaft also der Wunsch nach Empirie und noch näher hingucken. Was wäre ein Wunsch für uns als Gesellschaft, als Zivilgesellschaft?

Alle spielen.

Alle spielen.

Je mehr spielen, umso besser. Wer spielt, kann nicht streiten. Es ist so, dass man Perspektiven gut verstehen kann und man deswegen viel über sich und andere im Spielen lernt. Wir haben das vorhin auch gehabt, Sie haben erwähnt, ob Spiele Geschichte verfälscht oder klittert. Alle medialen Inszenierungen verfälschen in dem Sinne Geschichte. Sie schaffen es, Geschichte in einer bestimmten Art und Weise darzustellen und zu konstruieren.

Es gibt rechtsradikale und wirklich befremdliche Kreise, die miteinander über Gaming Communitys vernetzt sind. Das liegt aber daran, dass weltweit immer mehr Menschen vernetzt sind und nicht daran, dass Spielerinnen und Spieler per se eher rechtsradikal wären. Das muss man deutlich festhalten. Das sorgt dafür, dass der Attentäter Breivik in Norwegen mit dem Christchurch-Attentäter über ihre Ideologie zusammenhängen und sich durch die Gaming-Kultur auch untereinander identifizieren. Das bedeutet nicht, dass die Gaming-Kultur per se dazu neigt, rechtsradikale Mörder und Attentäter zu produzieren. Das ist im Verständnis schwierig, wenn man nicht gleichzeitig akzeptiert, dass auch alle anderen Spiele politisch sein können. Damit sind wir wieder bei dem Thema Alarmglocken Wir müssen bei digitalen Spielen darauf achten, welche Spielerinnen und Spieler unsere Zielgruppen sind und gezielt darauf einsetzen und auf den Missbrauch von solchen interaktiven Inszenierungen reagieren. Wir dürfen das nicht als Randerscheinung betrachten, sondern müssen auch politische Bildungsarbeit machen z.B. Workshops für Entwicklerinnen und Entwicklern, um zu verstehen, wo Leitplanken zu setzen sind.

Ich habe keine abschließende Antwort darauf, wie wir möglichst viele Zielgruppen möglichst befriedigend mit einem Spiel erreichen. Es muss multiperspektivisch sein und wir als Spielerinnen und Spieler sollten von gebrochenen Stereotypen überrascht werden. Das ist etwas, was mich Kolleginnen und Kollegen in der Gamesbranche fragen, aber wir müssen doch mit Stereotypen arbeiten, damit Spielerinnen und Spieler etwas wiedererkennen. Eine Plattitüde wäre, der Müller hat einen Sack mit Mehl auf dem Rücken und eine weiße Mütze, sowas. Es ist aber, gerade bei abstrakteren comicartigeren Spielen, schwieriger, ein Symbol zu schaffen, das wertfrei ist. Wir alle tragen eine Vorstellung mit uns rum. Das kann man dann entsprechend durch verschiedene kontrastierte Perspektiven, den Bruch von solchen Perspektiven und Klischees im Laufe der Spielehandlung, gut aufbrechen.

Das macht es so toll. Ich werde noch die nächsten 50 Jahre mit digitalen Spielen zu tun haben, hoffe ich, weil immer was Neues dazukommt und neue Perspektiven gefunden werden. Unsere Fantasie anzuregen und mit Gedankenspielen umzugehen, wie hätte es anders laufen können, ist die Kerneigenschaft von digitalen Spielen. Ich finde es gemein, zu sagen, das ist Geschichtsklitterung, sondern es ist in vielerlei Weise die große Eigenschaft, die digitale Spiele zum Medienkonzert beitragen.

Spiele öffnen auch den Kopf, die Gedanken. Wenn wir auf die Geschichte zurückblicken, wirkt das ziemlich linear, als konnte es nur so passieren. Da ist eins nach dem anderen, A führt zu B. Was wir in unserer Gegenwart erleben, ist ja viel offener. Solche Alternativ-Geschichten können durch Spiele vermittelt werden. Vielleicht muss man vorsichtig sein, ich finde den Begriff alternativ gerade fast problematisch, weil die „alternativen Fakten“.

Ich lasse mir doch nicht meine Begriffe wegnehmen. Es gibt immer Alternativen. Aus der Perspektive einer damaligen Zeit heraus den Spielerinnen und Spielern zu zeigen, ihr könnt so und so handeln, dann passiert vielleicht das und das und ihr wisst nicht was passiert. Diese Ungewissheit im Vorhinein ist etwas, was kein anderes Medium kann. Da ist es wirklich wichtig das, auch für Bildungszwecke, mehr zu nutzen. Das würde ich schon deutlich unterstreichen wollen. Daher sind die Alternativen, die in Videospielen auftauchen, keine der Ignoranz. Mein großer Antrieb ist, Entwicklerinnen und Entwicklern deutlich zu machen, was für ein großes Potenzial in diesen Spielen steckt, das noch gar nicht genutzt wird.

Das ist eine Brandrede. Ein schönes Schlusswort. Lassen Sie uns alle mehr spielen, mehr ausprobieren, mehr Geschichte auch in digitalen Spielen erfahren. Ich will vor allem vielen Dank sagen für Ihre Zeit.

Ja, sehr gerne.

Für Ihre Mühen und Ihre spannenden Gedanken, die Sie mit uns geteilt haben.

Das war unser History and Politics Podcast mit Niko Nolden. Mit Einblicken über das spannende Forschungsfeld rund um Geschichte und Erinnerung in Videogames. In den Shownotes haben wir für Sie weiterführende Links gesammelt. Dort finden Sie unter anderem eine kommentierte Live-Spielung zum Spiel „Svoboda Liberation 1945“, in dem es um die komplexe Nachkriegszeit im deutsch-tschechischen Grenzland geht. Weitere Informationen zu unseren Aktivitäten rund um digitale Erinnerungskultur und die gesamte Arbeit des Bereichs Geschichte und Politik der Körber-Stiftung finden Sie auf unserer Stiftungswebsite. Da gibt es natürlich auch alle aktuellen Folgen des History and Politics Podcasts. Vielen Dank fürs Zuhören und hoffentlich bis zur nächsten Folge, machen Sie es gut.

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Erwähnte und weiterführende Literatur:

Artwork: Geschichte ist Gegenwart! Der History & Politics Podcast der Körber-Stiftung

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Warum Geschichte immer Gegenwart ist, besprechen wir mit unseren Gästen im History & Politics Podcast. Wir zeigen, wie uns die Geschichte hilft, die Gegenwart besser zu verstehen.

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