Grafik: republica GmbH

Wie Video Games unser Verständnis von Geldgeschichte prägen

Das diesjährige Motto der Digitalkonferenz re:publica lautete „Cash“. Auf unserem Panel diskutierten wir über Geldgeschichte in Videospielen. Am Rande der Veranstaltungen baten wir unsere Panelists Laura Laabs und Aaron Sahr zum Gespräch über den mit Geld verbundenen Fortschrittsgedanken in Spielen.

Foto: Körber-Stiftung/Deana Mrkaja

Geld und Video Games – Wie passt das zusammen?

Laura Laabs: Ich weiß gar nicht, wie man es trennen würde. Auf der einen Seite gibt es die Videospielindustrie, die wirtschaftlich wahnsinnig produktiv ist. Auf der anderen Seite gibt es den Zusammenhang zur Technik, zu den Spielgeräten, die wir benutzen, ebenso zu den Spielen an sich, die sehr teuer sind. Es muss viel Geld ins Hobby fließen, bevor man es überhaupt ausüben kann. In den Spielen selbst gibt es noch die Frage der In-Game-Währung. Stichwort: „Freemium“. Muss ich Geld ausgeben, um ein so genanntes kostenloses Spiel spielen zu können? Und man sollte darüber nachdenken, wie Geld überhaupt in Spielen funktioniert oder dargestellt wird, wie diese unsere Vorstellungen von Geld und von der Geschichte von Geld beeinflussen.

Aaron Sahr: Ich würde noch von einer anderen Perspektive draufschauen. Geld spielt eine enorm wichtige Rolle in all unserer Leben, ob wir das gut finden oder nicht. Gleichzeitig ist es kein Thema, über das wir gerne sprechen. Vielen Leuten würde es schwerfallen, auf Anhieb zu sagen, was Geld ist oder wie sie sich Geldpolitik vorstellen, obwohl diese Sachen unser Leben im Kern mitbestimmen. Deswegen ist es enorm wichtig, sich die Geschichten anzugucken, die uns über Geld erzählen, weil sie die Vorstellung mitprägen, die wir vom Umgang mit Geld haben. Da sind Videospiele zu einem enorm wichtigen Faktor geworden. Dementsprechend müssen wir uns mit den Geschichten, die Spiele über Geld inszenieren, beschäftigen, genauso wie mit der klassischen Ideengeschichte von Geld oder mit der Darstellung dessen in der Literatur. All das schafft ein Verständnis darüber, welche Vorstellungen und Erwartungen Menschen an Geld herantragen.

Sie sagen beide, Geld sei ein zentraler Aspekt von und in Videospielen. Warum ist das gerade in historisch angelehnten Spielen der Fall?

Laabs: Das gilt auf keinen Fall für alle Spiele, aber Spiele brauchen ein herausforderndes Moment, eine Problemstellung für die Spieler:innen, die sie bewältigen müssen – das ist ganz zentral. Da bietet sich Geld als Mittel an. Der Bezug zu Geld ist auch im Alltag oft durch Herausforderungen geprägt, weshalb es sich womöglich anbietet, das in Spiele zu integrieren, insbesondere als Spielablauf-strukturierendes Element. So etwas wie: Die Spielenden kommen am Punkt X nur weiter, wenn sie ein bestimmtes Objekt haben. Bei Spielen mit historischem Setting würde es mir schwerfallen, mir ein Äquivalent zu Geld auszudenken, gerade weil Geld historisch wichtig ist.

„In Spielen ist die Anzeige für Geld meist nicht mehr als ein Punktesystem (...). In der realen Welt kann Geld nicht einfach als eine Punkte-Zählung von Leistung bezeichnet werden – gerade, wenn wir uns anschauen, wie unterschiedlich Leute entlohnt werden für unterschiedliche, gesellschaftlich wichtige Arbeit.“

Aaron Sahr

Sahr: Ein ganz simpler Bezug ist erst einmal, dass wir uns die Welt, die in diesen Spielen dargestellt wird, nicht vorstellen können ohne Geld. Wir merken das auch in den Debatten, die heute geführt werden um die nächste Gesellschaftsform, um Postwachstumsgesellschaft, um alternative Ökonomie. Es ist enorm schwierig, sich eine nicht geldbasierte Wirtschaft vorzustellen. Dadurch erleichtert uns das den Einstieg in Spiele, wie Frau Laabs es eben benannt hat. In Spielen ist die Anzeige für Geld meist nicht mehr als ein Punktesystem – man muss diese Punkte sammeln, um im Spiel handeln zu können. Das versteht man sofort und es nimmt einem die Hürde, das Spiel zu spielen. Das alles zeigt aber auch wieder ein Problem. Denn in der realen Welt kann Geld nicht einfach als eine Punkte-Zählung von Leistung bezeichnet werden – gerade, wenn wir uns anschauen, wie unterschiedlich Leute entlohnt werden für unterschiedliche, gesellschaftlich wichtige Arbeit.

Laabs: Bei Spielen, die auf irgendeine Art und Weise den Anspruch haben, Geschichte zu erzählen oder Geschichte darzustellen, sprechen wir ganz oft über Momente in der Vergangenheit, in denen Geld und Wirtschaft sehr relevant sind. Nehmen wir Anno 1800, das im Zeitalter der industriellen Revolution spielt, da ist die Entwicklung von bestimmten Wirtschaftsformen ein wichtiger historischer Aspekt, der in der Darstellung von Geschichte einen großen Stellenwert einnimmt.

Sahr: Das stimmt! Gerade bei Spielen wie Anno 1800 – diese Zeit stellen wir uns vor als den Beginn von Kapitalismus oder moderner Marktwirtschaft. Es ist eine Zeit, die wir als eine Geld-Zeit erzählen, in der Geld in den Mittelpunkt gerückt ist. Die klassische, nicht ganz richtige Vorstellung, die wir von dieser Zeit haben, ist, dass es lange sehr starre Gesellschaftsformen gab, in der Bäuerinnen und Bauern für sich gewirtschaftet haben, und irgendwann ging es los und alle haben für Gewinn gewirtschaftet. In der Folge wurde es für alle besser und es kam zu Innovationen und Fortschritt. Mit dem Fokus auf diese Periode beteiligt sich Anno 1800 an der Reproduktion einer kulturell wirkmächtigen Erzählung, an der man gar nicht vorbeikommt. Wir würden ein Spiel wie Anno 1800 gar nicht verstehen, wenn es nicht um Wirtschaft und Geld ginge.

Man braucht Geld, um weiterzukommen in Spielen – das bedeutet somit auch, dass die Anhäufung von Geld mit einem Fortschrittsgedanken der Menschheit verknüpft wird.

Sahr: Bei Spielen wie Anno 1800 oder Civilization 6 ist es eine ganz klare Fortschrittserzählung. Es kommt zu einer besseren Warenversorgung, dadurch dass wir wirtschaftliche Anordnung neu denken. Beispielsweise teilen wir Arbeit auf, werden produktiver. Dadurch generieren wir mehr Geld und werden reicher. Die, die Geld generiert haben, steigen in einer neue gesellschaftliche Schicht auf. Dadurch schaffen wir neue Bedürfnisse, denn unsere Bürger:innen wollen dann noch mehr Waren konsumieren. Und wir können ihnen das ermöglichen, weil wir insgesamt immer reicher und produktiver werden, solange die Gesellschaft so bleibt, wie sie ist. Alle steigen auf, aber nicht alle steigen gleichermaßen auf.

Laabs: Und manche dürfen gar nicht aufsteigen.

Sahr: Genau. Für diese Idee wird man heute sehr viele Anhänger:innen finden. Weniger bei Leuten, die sich gewissenhaft damit beschäftigen, wie Gesellschaften funktionieren, aber als eine Ideologie ist es präsent: Es kann nicht allen gleich gut gehen, aber es kann allen besser gehen. Das ist das Kern-liberale Versprechen moderner Gesellschaften.

Screenshot: Fireaxis Games/Civilization 6

Laabs: Das finde ich interessant, was Sie gerade gesagt haben. Fortschritt ist in diesen Spielen auch nur mit Geld zu haben. Es gibt keinen historischen Fortschritt in diesen Spielen ohne Geld. Das ist zum Teil ganz konkret. Bei Age of Empires muss man einzeln den Fortschritt in die jeweils nächste historische Periode anstoßen. Das heißt, das neue Zeitalter wird auf Knopfdruck entwickelt wie die anderen Technologien im Spiel auch. Und dieser zeitliche Fortschritt kostet Gold. Ohne das Gold abzubauen, kann ich nicht in der Geschichte voranschreiten. Das ist bei Civilization 6 genauso: Man kann den wissenschaftlichen Fortschritt, den kulturellen Fortschritt mit Gold beschleunigen. Es ist ein völlig intrinsischer Zusammenhang zwischen Geld ausgeben und historisch voranschreiten können.

Welchen Einfluss hat die Darstellung solcher Zusammenhänge, wie Sie sie beschreiben, auf die Gegenwart von Spielenden? Welchen Einfluss haben Spiele auf die Denkweise über Kapitalismus beispielsweise?

Laabs: Ich glaube, es ist schwierig und heikel, den individuellen Einfluss von einem spezifischen Spiel auf eine spezifische Spielerin irgendwie feststellen zu wollen. Im Endeffekt ist es, wie Aaron Sahr gesagt hat. Jegliches kulturelle Produkt, ob das YouTube-Videos oder Videospiele sind, ob Filme oder Literatur, alle prägen auf irgendeine Art und Weise unseren Zugang zu Geschichte oder – ganz abstrakt gesagt – zur Welt. Im Individuellen ist das schwierig festzustellen, aber im Allgemeinen können wir das so sagen.

Sahr: Man würde als Sozial- oder Kulturwissenschaftler:in nie einen Kausalzusammenhang zwischen einzelnen Faktoren und einzelnen Personen oder Handlungen ziehen. Aber die Darstellung solcher Zusammenhänge in Videospielen ist Teil von dem, was man Diskurs nennt, also gesellschaftliche Erzählungen und kulturelle Prägungen, und das ist nicht von der Hand zu weisen. Das wird auch strategisch eingesetzt. Es gab historische Konflikte, gerade in USA, um die Frage des 19. Jahrhunderts, ob man auf einen Gold- oder Silber-Standard geht. Die wurde nicht nur in ganz vielen verschiedenen Medien, sondern auch in Geschichten, die geschrieben wurden, in Zeitschriften und Kindergeschichten veröffentlicht. So etwas Ähnliches sieht man heute gerade im Konflikt um Geld auch wieder. Wir haben eine sehr vitale Bewegung um die Kryptowährung Bitcoin, und auch hier gibt es eine Reihe an Kinderbüchern, die entstehen und die Kindergeschichten erzählen, wo Kinder vor Probleme stoßen, die sie mit dem Einsatz von Bitcoin lösen. Wenn ich eine Kindergeschichte schreibe, um Kinder und Jugendliche von Bitcoin zu überzeugen, ist die Wirkungsweise strategisch. Das muss man den Macher:innen von Videospielen nicht unterstellen, um den Zusammenhang für wichtig zu erachten. Wir alle wachsen schließlich in einem Umfeld von Geschichten auf. Man weiß selbst häufig nicht, wo die eigenen Überzeugungen oder Wissensbestände genau herkommen. So zu tun, als hätten Computerspiele diese Wirkungen nicht, ist deshalb kein überzeugendes Argument.

„Ich glaube, dass die Art und Weise, wie Videospiele Güter, Knappheit oder Geld-Anhäufen darstellen, wesentlich dazu beitragen, wie Wert und Arbeit bemessen werden.“

Laura Laabs

Laabs: Da würde ich auf jeden Fall zustimmen. Viele Spiele bestimmen auch Haltungen zum Thema Arbeit, aber auch zum Thema Wert stark mit – wie das bei World of Warcraft der Fall ist. Zum Beispiel gibt es Gegenstände, die sehr selten sind, also eine Knappheit an diesen Gütern, die dann viel kosten und denen deswegen viel Wert zugesprochen wird. Und zwar Wert, der sich auch übersetzen lässt in real geldlichen Wert, weil solche Gegenstände auch außerhalb der Spielwelt gehandelt werden. Auch das Farmen von Gold oder das Grinden von Levels hat mit Arbeit zu tun. Ich glaube, dass die Art und Weise, wie Videospiele Güter, Knappheit oder Geld-Anhäufen darstellen, wesentlich dazu beitragen, wie Wert und Arbeit bemessen werden.

Der Einfluss von Videogames auf Themen wie Geld oder Kapitalismusgeschichte wurde bisher kaum untersucht. Auf welche Weise wird dabei etwas unterschätzt oder nicht genutzt?

Sahr: Für die Forschung, in der ich mich bewege, kann ich das sehr klar sagen. Man merkt, dass Videospiele als Forschungsthema, beispielsweise in der Soziologie, im Prinzip keine Rolle spielen. Aber das gilt für viele Kulturprodukte, weil sich in akademischen Disziplinen der kulturwissenschaftliche Anteil als Cultural Studies sozusagen abgetrennt hat und keinen guten Stellenwert, also nicht viel Würdigung bekommen hat. Deswegen gibt es in den „alten“ Sozialwissenschaften sehr wenig Beschäftigung mit anderen medialen Formen als dem klassischen Text. Wissenschaftlich wird der Einfluss popkultureller Formen wie dem Videospiel deswegen häufig unterschätzt und auch gesellschaftlich kann ich es mir nicht anders vorstellen. Wir haben auch mit einer Altersstruktur zu tun, bei der viele Leute, die in einer besonders privilegierten Sprecher:in-Position sind, noch nicht aus den Generationen kommen, für die Gaming nicht mehr etwas ist, was bestimmte Nerds oder eine bestimmte Subgruppe in der Schulklasse gemacht haben, sondern ein Breitenphänomen.

Laabs: Das ist eine spannende Frage, weil in der Kulturwissenschaft, Medienwissenschaft, manchmal in bestimmten Texten eine Rechtfertigungsgeste an den Anfang gestellt wird. Die lautet meistens: Videospiele sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen oder sie bezieht sich auf die Größe der globalen Videospielindustrie. Ich sage das etwas polemisch, aber es gibt einen Verteidigungsmodus, eine defensive Geste, dass man sich jetzt doch endlich bitte mal Videospielen widmen müsste.

Sahr: Und eine ökonomische Rechtfertigung. Wir beschäftigen uns damit, weil sie so viel Geld verdienen.

Laabs: Total! Es ist wichtig, Videospiele als Medium ernst zu nehmen, als Kulturprodukt oder auch als kulturelle Artefakte hinsichtlich der Frage, welche Narrative handeln Videospiele aus? Das passiert zu wenig.

Kennen Sie bereits Spiele, in denen eine Welt ohne Geld oder eine gemeinwohl-orientierte Ökonomie dargestellt wird? Welchen Einfluss könnten solch neue Sichtweisen in Games haben?

Laabs: Ich glaube, es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, dass nicht alle Spiele stark auf Geld ausgerichtet sind. Puzzle Games sind Spiele, die oft ohne Monetarisierungslogik funktionieren. Bei den Indie-Spielen gibt es einige, die ohne Währungen auskommen. Die haben dann oft einen narrativen Fokus, bei dem eine Geschichte erzählt wird. Grundsätzlich bin ich aber skeptisch zu sagen, wir müssen nur bessere Spiele erfinden, um auf andere Ideen zu kommen. So einfach ist es nicht.

Sahr: Es gibt auch bei den großen Titeln welche, die eine andere Gewichtung für Geld haben. Für mich wäre das letzte Crusader Kings 3 ein Spiel, in dem andere Währungen außer der monetären Währung wichtig sind. Ich habe aber auch eine gewisse Skepsis, was man von Spielen als eine subversive Kraft erwarten sollte. Am Ende sind es Spiele, die immer den emotionalen Faktor im Sinne von Spielbarkeit berücksichtigen müssen. Ich glaube, wir müssen Spiele ernst nehmen, sie lesen, analysieren und das auch darstellen, um Leuten einen reflektierten Zugang zu vermitteln. Aber ich glaube, wenn es um die Erfahrbarkeit oder die Ausgestaltung neuer ökonomischer Formen geht, sind Spiele nicht die erste Adresse.