Foto: Claudia Höhne

Körber Demografie Symposium 2021

Smart Ageing: Demografie und Digitalisierung zusammendenken

Um zukunftsfähig zu sein, müssen deutsche Städte und Gemeinden altersfreundlich werden. Innovative neue Technologien bieten viele Chancen, gutes Altwerden vor Ort zu ermöglichen. Das war Konsens auf dem 12. Körber Demografie-Symposium „Smart Ageing. Digitale Chancen für die altersfreundliche Stadt“. Ein Standpunkt von Karin Haist.

Digitale Lösungen können die Lebensqualität älterer Menschen erhöhen. Es ist Zeit, Demografie und Digitalisierung zusammenzudenken – gerade dort, wo der Wandel gestaltet wird, in den Kommunen.

  • Hans-Werner Wahl
    Hans-Werner Wahl
  • Tagesmoderation Karin Haist und Jonathan Petzold
    Tagesmoderation Karin Haist und Jonathan Petzold
  • Eva Nemela
    Eva Nemela
  • Victoria Hermann-Feichtenberger
    Victoria Hermann-Feichtenberger
  • Sanna Vesikansa
    Sanna Vesikansa

Den Kommunen stehen viele smarte Lösungen offen

Navigationssystemen für Fußgängerinnen und Fußgänger, bei denen die nächste Sitzgelegenheit, der Supermarkt oder die Behörden in der Nähe angezeigt werden, Smart-Home-Konzepte, in denen Sturzdetektoren und Vitalsensoren sowie Notfall-Rufsysteme integriert sind: Was technologisch möglich ist und was davon in deutschen Kommunen bereits erprobt wird, zeigt eine gemeinsame Studie des Berlin Instituts für Bevölkerung und Entwicklung und der Körber-Stiftung, „Smart Ageing. Technologien für die altersfreundliche Stadt“. Zu Recht sieht die Studie die Rolle der Kommunen bei digitaler Technologie für gutes Altern umfassend: Nicht nur die Zugänge zur öffentlichen Infrastruktur oder zu einer altersgerechten Mobilität in der Stadt sind kommunales Terrain. Auch der Einsatz digitaler Lösungen im häuslichen Umfeld ist mehr als eine Privatsache. Denn es sei im kommunalen Interesse, den möglichst langen Verbleib der Älteren in den eigenen vier Wänden zu unterstützen, so Mitautorin Victoria Herrmann-Feichtenbeiner auf dem Körber Demografie-Symposium.

Gamification und Innovation Hubs sind Treiber der Digitalisierung

Neben technologischen Innovationen im Stadtraum oder im Wohnumfeld können auch digitale Spiele die Lebensqualität älterer Menschen unterstützen. Dafür plädiert der Sozialunternehmer und politische Philosoph Manoucher Shamsrizi. Er setzt auf Gamification, wie es etwa mit der Spielkonsole „memoreBox“ realisiert wird: Die hat Shamsrizi mit seinem Sozialunternehmen Retrobrain entwickelt. Die „memoreBox“ ermöglicht spielerisch Prävention wie Rehabilitation pflegebedürftiger Älterer und ist zum Beispiel in Pflegeheimen im Einsatz. Gamification sieht Shamsrizi wie Virtual Reality oder künstliche Intelligenz als gesellschaftliche Treiber für den Gesundheitsbereich. Denn: „Es kann auch spaßig sein, gesund zu bleiben“.

Zum verstärkten Einsatz und Impact digitaler Tools im Gesundheitssystem sieht Shamsrizi keine Alternative – und gerade Gaming sei wegen der möglichen intuitiven Nutzung für Ältere wie geschaffen.

Um neue Technologien für smartes Altern zu etablieren, müssen sie auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Auch das wurde auf dem Demografie-Symposium deutlich. Ein Ort, an dem das mustergültig – und als Angebot der Stadtverwaltung – geschieht, ist das DokkX in der dänischen Stadt Aarhus. Es ist ein Ausstellungsort, an dem digitale Produkte zum Kennenlernen, Erproben und Ausleihen präsentiert werden. Es versteht sich aber auch als Innovation Hub: Forschung und Unternehmen laden die Nutzer:innen zum Feedback auf ihre Produkte ein. Von einem “Welfare technology experience space” spricht der Leiter des DokkX, Ivan Lauridsen. Der Erfolg solcher offenen Orte ist nicht nur die Vermittlung von Innovation, sondern vor allem auch die Motivation und das Empowerment der Bürger:innen, sie auch zu nutzen. Gerade bei den eher Technik-skeptischen Älteren ist das ein wichtiger Impact.

Ältere lassen sich auf Digitalisierung ein – wenn sie ihnen Nutzen bietet

Um einzuschätzen, wie digital affin ältere Menschen sind, braucht es einen differenzierten Blick. Hans-Werner Wahl, Psychologe und Senior-Professor am Netzwerk Alternsforschung der Universität Heidelberg, weist auf Befragungen hin, wonach über die Hälfte der Menschen über 80 das Internet nie nutzen; 90 % der 60- bis 69-Jährigen aber regelmäßig: täglich – meist mehrfach – oder doch mindestens einmal in der Woche. Das „TechnikRadar“ der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und der Körber-Stiftung weist aus, dass die Akzeptanz neuer Geräte und Dienstleistungen mit zunehmendem Alter abnimmt.

Ältere fühlen sich oft nicht umfassend kompetent genug für den Umgang mit Technologie.

Ihre Unsicherheit und ihre Zurückhaltung gegenüber der Digitalisierung macht Hans-Werner Wahl aber nicht am Alter fest, sondern stärker an der Zugehörigkeit zu einer Generation. Und als „Internetgeneration“ sind eben erst die Jahrgänge ab 1980 aufgewachsen. Noch die Jahrgänge 1949 bis 1963 rechnet Wahl zur „Generation der zunehmenden Haushaltstechnik“.

Insgesamt, so der Heidelberger Alternsforscher, sei der Stand der Digitalisierung bei Älteren besser als sein Ruf. Und er ist wie das TechnikRadar oder andere Umfragen und Studien der Meinung, dass die Technikakzeptanz der Älteren stark von der Einsicht in ihren Nutzen abhängt: So können sich laut einer Forsa-Umfrage von 2016 82% der befragten Älteren über 60 Jahre einen Service-Roboter zu Hause vorstellen, wenn sie dadurch „im Alter länger in den eigenen vier Wänden wohnen bleiben könnten“.

Smarte Konzepte für gutes Altern müssen co-kreativ sein. Helsinki macht’s vor

Die Bedeutung von langem und selbständigem Wohnen im eigenen Zuhause kann für die Vorstellung von gutem Altern nicht überschätzt werden. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit wird dieser Wunsch der Menschen immer wieder von Studien bestätigt. Ihn zu ermöglichen, ist deshalb auch ein Leitbild für das neue DUCAH in Berlin, das Digital Urban Centre for Aging and Health. Sein Gründungsdirektor Thomas Schildhauer stellt eine interdisziplinäre, menschenzentrierte Forschung des Centers in Aussicht.

Der Technologieeinsatz in Bereichen wie Quartiersarbeit, Mobilität, Gesundheit und Pflege soll vor Ort und anwendungsorientiert begleitet werden: „Co-Creation in LernQuartieren“, unter Einbindung aller dort wirkenden Stakeholder, ist das Stichwort für das DUCAH. Auch in Helsinki ist Co-Creation gleichsam ein roter Faden für die konkrete Umsetzung von „Smart Ageing“. Gutes Altwerden unterstützt die finnische Hauptstadt mit Innovationsförderung, Modernisierungsstrategien und digitalen Technologien.

Die Verwaltung sieht Smart Aging als kommunale Aufgabe und implementiert immer mehr digitale Services. Zum Beispiel die App “Maisa”- ein Portal für den direkten Kontakt zwischen Patient:in und Einrichtungen im Gesundheitsbereich. Genau das muss auch das das Kriterium für die Digitalisierung von Dienstleistungen sein – sie sind nicht per se gut, sie machen ihre analogen Vorgänger auch nicht immer überflüssig, aber sie müssen einen Mehrwert erbringen. Und besser und nützlicher, so Sanna Vesikansa, Helsinkis Vizebürgermeisterin bis 2021, werden digitale Services nur durch die gemeinsame Entwicklung mit den Bürger:innen und deren fortwährendem Feedback. Co-Creation eben.

Ein städtisches Unternehmen experimentiert für gutes Altwerden

Eine besondere Rolle für Co-Creation spielt in Helsinki auch das Forum Virium. Es ist ein gemeinnütziges Unternehmen im Eigentum der Stadt, eigens dafür gegründet, als Innovationstreiber der Stadt zu wirken. Um neue digitale Lösungen und Angebote für Helsinki zu entwickeln, arbeitet das Forum Virium mit Unternehmen zusammen, mit dem öffentlichen Sektor, der Stadtverwaltung, aber vor allem den Einwohnern und Einwohnerinnen. Ein ganzer neuer Stadtteil, Kalatasama, ist das „Testbed“, das Experimentierfeld. Kaisa Spilling arbeitet dort als „Urban Innovation Accelerator“, worum sie von manchen Besucher:innen des Körber Demografie-Symposiums beneidet wird. Mehr noch beeindruckt die Haltung des Forum Virium bei der Erprobung neuer Lösungen: Scheitern ist immer erlaubt. Agile Piloting, sozusagen „flexibles Ausprobieren“, ist die zentrale Methode.

Wie werden deutsche Städte smart?

Nils Förster, Abteilungsleiter Sozialplanung im Sozialamt der Stadt Kassel, Johannes Rothmund, Bürgermeister von Eichenzell in Hessen, und Bernd Huf, Bürgermeister der saarländischen Gemeinde Spießen-Elversberg, haben Smart Ageing in Helsinki vor Ort kennengelernt. Sie waren Teilnehmende der Expedition „Age & City“ der Körber-Stiftung. Beeindruckt sind sie von smarten Produkten wie einer interaktiven Bildschirmwand für das Naturerlebnis demenzkranker Altenheimbewohner:innen. Impulse für die eigene Stadt bietet auch die Oodi, die nicht nur die innovativste Bibliothek Skandinaviens ist, sondern auch Wohnzimmer und Kreativwerkstatt aller Generationen. Und vorbildlich ist auch das Wohnprojekt Kotisatama, ein in Co-Designing entstandenes und mit smarten Ideen betriebenes Haus von 60 älteren Menschen. Vor allem aber überzeugt die deutschen Kommunalvertreter das finnische Mindset, der Mut zur Veränderung. Genau das braucht eine smarte Stadt.

Das sieht auch Chirine Etezadzadeh so: „Die Technik ist nur ein Instrument“. Die Gründerin und Leiterin des SmartCity.institute in Stuttgart sieht als größte Herausforderung zur digitalen, smarten Stadt das nötige Change Management der Verwaltung. Das „Uhrwerk Verwaltung“, traditionell auf Prozesstreue und Absicherung ausgerichtet, muss jetzt Innovationen agil erproben – „das ist ein Kulturwandel“, so Etezadzadeh. Offenheit, Partizipation, Wertschätzung und eine klares Commitment empfiehlt sie den Kommunen, die sich aufmachen, smart zu werden. Starten können sie mit kleinen Aktivitäten, die vor Ort sichtbar von Nutzen sind. Ziel und Chance des Prozesses: Smarte Städte sind auch resilienter und nachhaltiger.

Kommunen als Pioniere der gesellschaftlichen Entwicklung

Mit dem noch wenig gebräuchlichen Begriff „Smart Ageing“ sieht sich die Körber-Stiftung als Agendasetter für ein Zukunftsthema, so Eva Nemela, Leiterin des Bereichs Alter und Demografie. Digitale und technologische Dienstleistungen oder Produkte können für gutes Altwerden eine immer wichtigere Rolle spielen. Die Voraussetzungen sind: Ethische Fragen wie Datenschutz oder Selbstbestimmung der Älteren müssen immer beachtet werden, auch das Empowerment älterer Menschen zur digitalen Kompetenz. „Smart“ ist es nach Überzeugung der Stiftung auch, wenn Kommunen digitale Lösungen gemeinsam mit den Bürgern und Bürgerinnen entwickeln. Dann können sie Pioniere sein für eine Gesellschaft, die die großen Megatrends Demografischer Wandel und Digitalisierung endlich gemeinsam gestaltet.